Lebensgeschichten & Erfahrungen
Alle Menschen sind geprägt von ihren lebensgeschichtlichen Erfahrungen. Was aber erlernt wurde, kann im Bedarfsfall auch wieder verlernt werden. Dies gilt gleichermaßen für „normales“ wie auch problematisches Verhalten, für Gedanken genauso wie für Gefühle. Negative Lernerfahrungen können vor allem dadurch korrigiert werden, dass wir andere, bessere Fähigkeiten erwerben. Dazu bietet die Verhaltenstherapie in vielen Bereichen ein Neulernen an, vermittelt aktive Fähigkeiten zur Lebensbewältigung und fördert außerdem die (immer vorhandenen!) persönlichen Stärken und Talente.
Die Verhaltenstherapie nimmt an, dass psychische Probleme, seelische Störungen und psychosomatische Erkrankungen auf Fehlentwicklungen in der persönlichen Vergangenheit zurückzuführen sind. Wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, ist aber nicht nur die frühe Kindheit von Bedeutung. Selbst später noch, können bestimmte Erfahrungen zu ernsten Schwierigkeiten führen, wobei meist psychische, körperliche und soziale Einflüsse zusammenwirken.
Lebenslanger Prozess
Umgekehrt wissen wir, dass die menschliche Entwicklung einen lebenslangen Prozess darstellt. So besteht gute Hoffnung, auch bei einer relativ „schwierigen“ Kindheit oder Vergangenheit durch eine Verhaltenstherapie positive Bewältigungsmöglichkeiten zu erwerben – nach dem Motto: „Was kann ich ab jetzt, trotz alledem, mit Blick nach vorn für mich erreichen?“
Ähnlich wie ein Fahrlehrer ist der Therapeut ein wohlwollender Begleiter, vermittelt neue Fähigkeiten, regt Veränderungen und bessere Lösungen an und hilft beim Beseitigen von Hindernissen, die dem Wohlbefinden im Alltag im Wege stehen (z.B. Ängste, Depressionen, negative Einstellungen usw.). Wenn Sie als Patient die Anstöße Ihres Therapeuten aufgreifen und – im Rahmen Ihrer Möglichkeiten – aktiv mitarbeiten, leisten Sie einen wesentlichen Beitrag dazu, dass die Therapie gelingt.
Die Integrierte Stärkenfokussierte Therapie (BETIPUL-ISFT) vereint verschiedene therapeutische Konzepte aus der erholungsorientierten kognitiven Therapie (CT-R), der Positiven Psychotherapie (PPT), dem stärkenbasierten Resilienztraining sowie kontemplativen Praktiken. Auf diese Weise entsteht ein ganzheitlicher Ansatz, der Menschen dabei unterstützt, ihre Ressourcen zu aktivieren und ein erfüllteres, sinnhaftes Leben zu führen.
Grundlage dieses Konzepts ist zunächst die erholungsorientierte kognitive Therapie, wie sie von Aaron T. Beck entwickelt wurde. Obwohl Beck (2021) sich damit ursprünglich an Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie wandte, lässt sich das darin enthaltene Potenzial zum persönlichen Wachstum auf vielfältige Problemlagen übertragen. Dabei steht der sogenannte „adaptive Modus“ im Mittelpunkt, also jene Momente, in denen Menschen in ihrer Bestform sind und ihre Stärken besonders gut einsetzen können. Die Aufgabe der Therapeutinnen und Therapeuten ist es, gemeinsam mit den Klientinnen und Klienten Gelegenheiten zu schaffen, in denen dieser Modus aktiviert und aufrechterhalten wird. Übergreifendes Ziel ist es, langfristige Bestrebungen zu fördern und zu verwirklichen sowie positive Überzeugungen über sich selbst zu stärken (Beck, 2021).
Ergänzt wird dieser ressourcenorientierte Ansatz durch die Positive Psychotherapie (Rashid, 2018; Rashid & Seligman, 2021). Statt sich nur auf das Lösen von Problemen und das Bearbeiten von Symptomen zu konzentrieren, soll das Augenmerk auch auf die Entdeckung und Förderung persönlicher Stärken und positiver Emotionen gelegt werden. In diesem Kontext ist es wichtig, eine wertschätzende therapeutische Beziehung aufzubauen, in der Stärken ernst genommen und bewusst als Teil der Persönlichkeit eingesetzt werden, um die psychische Stabilität zu verbessern (Rashid & Seligman, 2021).
Einen weiteren Schwerpunkt bildet das stärkenorientierte Resilienztraining nach Rashid (2024). Es unterstützt Menschen darin, in schwierigen Situationen ihre persönlichen Ressourcen zu mobilisieren. Hierzu zählen der bewusste Einsatz von Charakterstärken, das Erlernen von Stressbewältigungstechniken, die Pflege positiver Beziehungen sowie das Finden eines tieferen Sinns im eigenen Handeln. Wenn Menschen wissen, wofür sie stehen und was sie antreibt, können sie selbst mit Widrigkeiten besser umgehen (Rashid, 2024).
Ein vierter wichtiger Baustein der BETIPUL-ISFT sind kontemplative Praktiken, wie sie beispielsweise Jakobus Geiger (2017) und Joshua Knabb (2021) beschrieben haben. Diese Praktiken unterstützen Menschen dabei, durch Achtsamkeit, Stille und Selbstreflexion eine tiefere Verbindung zu sich selbst und zu ihrem spirituellen Kern herzustellen. Dabei geht es nicht nur darum, negative Gedanken zu reduzieren und Grübeln zu vermeiden, sondern auch darum, innere Klarheit zu gewinnen, sich achtsam mit dem eigenen Erleben auseinanderzusetzen und so eine nachhaltige Veränderung zu ermöglichen (Knabb, 2021).
Die praktische Umsetzung der BETIPUL-ISFT erfolgt in mehreren Phasen, die dennoch flexibel gehandhabt werden können (Beck, 2021; Rashid, 2018; Rashid, 2024; Rashid & Seligman, 2021; Knabb, 2021). Zunächst identifiziert man gemeinsam mit den Klientinnen und Klienten deren persönliche Stärken und beleuchtet Situationen, in denen sie diese bereits genutzt haben (Rashid, 2018). Anschließend wird mithilfe konkreter Interventionen der adaptive Modus aktiviert und stabilisiert. Dabei unterstützt man die Klientinnen und Klienten auch dabei, ihre langfristigen Ziele zu formulieren und erste Schritte zur Verwirklichung dieser Ziele zu gehen (Beck, 2021). Der gezielte Einsatz der identifizierten Stärken und die Integration kontemplativer Übungen helfen, die eigene Motivation aufrechtzuerhalten und ein tieferes Verständnis für innere Prozesse zu gewinnen (Knabb, 2021). Abschließend werden die gewonnenen Erkenntnisse und Strategien im Alltag verankert, sodass sie auch über die Therapie hinauswirken und das Leben langfristig bereichern (Rashid, 2024).
Insbesondere die Betonung spiritueller Aspekte ist in diesem Ansatz von Bedeutung. Kontemplation und spirituelle Reflexion können dazu beitragen, dass sich Menschen mit ihrem eigenen Wesenskern und möglichen Sinnquellen verbinden (Geiger, 2017). Dadurch erhält das eigene Handeln nicht nur eine „funktionale“ Komponente, sondern auch eine tiefere Ausrichtung, die dem Leben mehr Fülle verleiht.
Insgesamt zeigt sich, dass BETIPUL-ISFT durch die Verbindung von erholungsorientierter kognitiver Therapie, Positiver Psychotherapie, stärkenbasiertem Resilienztraining und kontemplativen Praktiken einen vielseitigen Werkzeugkoffer bietet (Beck, 2021; Rashid, 2018; Rashid, 2024; Rashid & Seligman, 2021; Knabb, 2021). Dieser Ansatz geht über die bloße Symptomreduktion hinaus und stärkt die Fähigkeit zu persönlichem Wachstum und Resilienz. Die Menschen, die diesen Weg gehen, finden oft nicht nur zu mehr Wohlbefinden, sondern erschließen sich auch eine Lebensführung, in der sie ihre Werte, Ziele und Stärken auf sinnvolle Weise in ihren Alltag integrieren. Damit leistet BETIPUL-ISFT einen wichtigen Beitrag in der modernen Verhaltenstherapie und eröffnet neue Möglichkeiten, psychische Gesundheit ganzheitlich zu fördern.
Ein möglicher Fallbericht im Sinne von Betipul-ISFT
Laura, 29 Jahre alt und beruflich als Referentin in einem anspruchsvollen Unternehmen tätig, suchte psychotherapeutische Unterstützung, nachdem sie über mehrere Monate hinweg eine zunehmende Erschöpfung, depressive Verstimmungen und Grübelgedanken verspürte. Trotz ihres hohen Engagements und großen Pflichtbewusstseins bemerkte sie, dass ihr bislang selbstverständlicher Spaß an Projekten und beruflichen Aufgaben mehr und mehr schwand. Zugleich zog sie sich zunehmend von ihren Freundinnen und Freunden zurück und verlor das Interesse an ehemals geliebten Hobbys wie dem Lesen von Romanen oder dem gemeinsamen Kochen mit anderen.
In der ersten Phase der Integrativen Stärkenfokussierten Therapie (Betipul-ISFT) wurde eine Stärkenanalyse durchgeführt. Die Therapeutin nutzte offene Gespräche und biografische Rückblicke, um gemeinsam mit Laura die bisherigen Erfolge und ihre charakteristischen Ressourcen herauszuarbeiten. Laura erkannte, dass sie in früheren Situationen, die sie ebenfalls als belastend empfand, von ihrer Kreativität, ihrer Ausdauer und ihrer Fähigkeit profitiert hatte, andere Menschen für gemeinsame Ziele zu begeistern. Diese Rückblicke förderten eine „Story“ zutage, in der Laura bereits bewiesen hatte, dass sie in kritischen Phasen neue Wege finden und ihre Stärken gewinnbringend einsetzen konnte.
Darauf aufbauend erfolgte die Bestimmung des adaptiven Modus. Nach dem Konzept der erholungsorientierten kognitiven Therapie (CT-R) wurde herausgearbeitet, in welchen Situationen Laura sich am lebendigsten, zuversichtlichsten und leistungsfähigsten fühlte. Sie erinnerte sich an Momente, in denen sie mit Kolleginnen und Kollegen angeregt diskutierte und daraus Inspiration für neue Projekte gewann oder gemeinsam in einem Team Erfolge feierte. Durch die gemeinsame Reflexion gewann Laura Klarheit darüber, dass sie sich nach einer Arbeitsatmosphäre sehnte, in der Kreativität und eine offene Kommunikation im Vordergrund standen und in der sie gleichzeitig Freiräume für Erholung und private Interessen hatte. Diese Erkenntnisse waren das Fundament, um den sogenannten „adaptiven Modus“ verstärkt in ihren Alltag zu integrieren.
Anschließend begann die Phase der stärkenorientierten Interventionen, in der Elemente aus der Positiven Psychotherapie (PPT) zum Tragen kamen. Laura wurde dabei ermutigt, kleine Schritte zu unternehmen, die ihre Stärken aktivierten und damit positive Emotionen sowie Selbstwirksamkeitserleben stärkten. Konkret bedeutete das beispielsweise, dass sie sich vornahm, ihr Talent zum kreativen Denken sowohl im Beruf als auch privat wieder gezielter zu nutzen. So engagierte sie sich in einem kleinen Projektteam, das eigenständig neue Ideen für digitale Formate entwickelte. Gleichzeitig wagte sie einen Neuanfang in der Küche und erinnerte sich an ihre ehemalige Freude am gemeinsamen Kochen, indem sie einmal pro Woche Freundinnen oder Freunde zu sich einlud.
Parallel dazu wurden kontemplative Praktiken in den Therapieprozess eingebracht. Auf Anraten der Therapeutin begann Laura, einen von einer christlichen Gemeinde angebotenen Einführungskurs in meditative Stille und kontemplatives Gebet zu besuchen. In den Sitzungen sprach sie über Erfahrungen, die sie während dieser Übungen machte: Sie stellte fest, dass sie dabei nicht nur Entspannung und einen gewissen inneren Frieden verspürte, sondern auch an Stellen mit ihrem Glauben und ihrer Selbstkritik in Berührung kam, die ihr zuvor nicht so bewusst gewesen waren. Diese manchmal herausfordernden Erfahrungen wurden in den Therapiesitzungen reflektiert, sodass sie die neuen Einsichten in ihr Selbstverständnis integrieren und Unsicherheiten oder negative Glaubenssätze adäquat bearbeiten konnte.
Im Laufe des therapeutischen Prozesses rückten verstärkt konkrete Ziele in den Mittelpunkt, die Laura helfen sollten, ihre langfristigen Ambitionen umzusetzen. Sie erkannte, dass sie beruflich gerne mehr Eigenverantwortung für kreative Projekte übernehmen wollte, sich aber auch klarere Grenzen für ihre Arbeitszeit setzen musste, um einer erneuten Erschöpfung vorzubeugen. Zugleich definierte sie persönliche Ziele: Sie wollte wieder mehr soziale Kontakte pflegen, sportliche Aktivitäten ausprobieren und eine stabilere spirituelle Praxis entwickeln. Diese Zielorientierung half ihr, neue Motivation zu entwickeln und Rückschläge nicht als Scheitern zu bewerten, sondern als Hinweis, notwendige Anpassungen vorzunehmen – etwa an ihrer Wochenplanung oder ihren Erholungsphasen.
Gegen Ende des Therapieprozesses kam es zur Integration und zum Abschluss. Laura fasste gemeinsam mit ihrer Therapeutin die wichtigsten Lernerfahrungen und Schritte zusammen, die ihr geholfen hatten, sich aus der Erschöpfung und Niedergeschlagenheit zu lösen. Sie entwickelte eine Art „Stärken-Notizbuch“, in dem sie kurz die jeweiligen Situationen dokumentierte, in denen sie erfolgreich auf ihre Ressourcen zurückgegriffen hatte, sowie Bibelverse und Zitate aus Meditationsanleitungen, die sie als inspirierend empfand. Dieses Notizbuch sollte sie daran erinnern, dass sie einen für sie passenden Weg gefunden hatte, ihre Stärken, ihre Glaubensüberzeugungen und ihre neu gewonnenen Einsichten im Alltag einzusetzen.
Im Ergebnis zeigte sich, dass Laura nicht nur ihr Selbstvertrauen wiedergewann, sondern sich auch besser in der Lage fühlte, über ihre persönlichen Grenzen zu sprechen und auf Warnsignale ihres Körpers und ihrer Seele frühzeitig zu reagieren. So gelang es ihr, die Arbeitszeit auf ein für sie gesundes Maß zu reduzieren und ihre zuvor vernachlässigten Interessen (wie das gemeinsame Kochen und den Austausch mit Freunden) wiederzubeleben. Die kontemplative Praxis wurde für sie zu einem festen Bestandteil ihres Tagesablaufs, den sie vor allem dann aufsuchen wollte, wenn ihr die tägliche Hektik über den Kopf zu wachsen drohte. Somit konnte Laura den therapeutischen Prozess abschließen, indem sie ein persönlich abgestimmtes Repertoire aus stärkenorientierten und kontemplativen Strategien mitnahm, das sie für ihre künftige Entwicklung flexibel anpassen kann.
Dieser Fallbericht verdeutlicht den typischen Aufbau einer Betipul-ISFT-Behandlung. Zu Beginn stehen eine Stärkenanalyse und die Rückbesinnung auf den adaptiven Modus, gefolgt von stärkenorientierten Interventionen. Gleichzeitig werden kontemplative Elemente in die Therapie eingebunden, um Reflexion und spirituelle Ressourcen zu fördern. Schließlich leitet die gemeinsame Zielarbeit über in die Phase der Integration und des Abschlusses, in der die neu erarbeiteten Kompetenzen gefestigt und auf künftige Herausforderungen übertragen werden. Damit wird das zentrale Anliegen der Betipul-ISFT erfüllt: die gezielte Unterstützung von Menschen in ihrer persönlichen, psychischen und spirituellen Entwicklung, indem Stärken, Wachstum und gegebenenfalls Glaubensaspekte tragend miteinbezogen werden.